TAG DER MENSCHENRECHTE

10. Dezember 2013
    
Anlässlich des 65. Geburtstags der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte veröffentliche ich an dieser Stelle meinen Redebeitrag beim Tag der Menschenrechte für Vietnam, der am 7. Dezember 2013 in der Gemeinde Sankt Aloysius (Berlin-Wedding) stattfand.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

vielen herzlichen Dank für die Einladung zum Tag der Menschenrechte für Vietnam, zu diesem Treffen hier in der Gemeinde Sankt Aloysius, die ich noch aus meiner Weddinger Zeit vor rund zehn Jahren kenne. Besonders danken möchte ich Herrn Dr. Trần Văn Tích vom Bundesverband der vietnamesischen Flüchtlinge in Deutschland für die Begleitung per E-Mail im Vorfeld des heutigen Abends.

Wie komme ich zu der Ehre, hier und heute zu Ihnen sprechen zu dürfen? Sie werden schon an der Aussprache des Namens vorhin gemerkt haben, dass ich kein Vietnamesisch spreche. In der Tat bin ich kein Vietnam-Experte. Ob ich Menschenrechtsexperte bin, weiß ich nicht, aber ich habe mich zumindest in den letzten Jahren immer wieder mit Menschenrechtsfragen beschäftigt. Das wiederum hängt damit zusammen, dass mir die Menschenrechte am Herzen liegen, nicht nur, wenn es um Vietnam geht, sondern ganz allgemein. Also, Sie haben mich eingeladen als Person, die sich mehr mit den Menschenrechten als mit Vietnam beschäftigt, in der letzten Zeit aber vermehrt mit der Menschenrechtslage in Vietnam.

1. „Vietnam. Drei katholische Blogger in Haft“, „Vietnam. Neue Verhaftungswelle“, „Erst Kritik, dann Entlassung. Alltag in Vietnam“, „Vietnam. Wo Religion Privatsache ist“, „Studenten in Vietnam verurteilt“ – das sind einige der Überschriften, unter denen ich in diesem Jahr in meinem Weblog Jobo72 über die katastrophale Menschenrechtslage in Vietnam berichten musste. Auf die prekäre Menschenrechtslage in Vietnam wurde ich aufgrund eines Prozesses gegen 14 katholische Blogger am Anfang des Jahres aufmerksam. Als katholischer Blogger, der ich bin, muss ich auch in Deutschland einiges an Gegenwind ertragen, doch für meine Beiträge zehn, fünfzehn Jahre hinter Gittern zu verschwinden, das ist hierzulande undenkbar. Anders in Vietnam. Dort reichen, wie Sie ja wissen, einige kritische Bemerkungen aus, um inhaftiert zu werden.

Wie kann ich meinen fernen Kolleginnen und Kollegen helfen, deren Schicksal mir nahe ging? Diese Frage beschäftigte mich. Einerseits: berichten, informieren, Partei ergreifen. Das war mir aber nicht genug. So entstand eine Petition, in der ich von den Vertretern meines Landes, also Deutschlands, diplomatische Maßnahmen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation in Vietnam einforderte. Sie wurde über 2500 mal unterzeichnet. Mittlerweile habe ich die Petition an die Gremien weitergeleitet, an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages und an die menschenrechtspolitischen Sprecherinnen bzw. Sprecher der Fraktionen – noch in der alten Zusammensetzung des Parlaments. Wie Sie wissen, befindet sich das politische Deutschland seit gut einem halben Jahr in einer kollektiven Nabelschau – erst Wahlkampf, dann die Wahl, jetzt seit einigen Wochen die schwierigen Koalitionsverhandlungen, die ja in diesen Tagen zum Abschluss kommen. Ich denke, dass wir bald wieder eine handlungsfähige Regierung haben werden, spätestens dann im nächsten Jahr, einen neuen Menschenrechtsbeauftragten ohnehin – denn der jetzige ist von der FDP. Dann wird es auch mit der Alltagsarbeit im Bundestag und in den Ministerien weitergehen. Und der Einsatz für Menschenrechte muss Alltag deutscher Politik sein.

2. Warum sind Menschenrechte so wichtig? Menschenrechte bürgen für Freiheit und die Bedeutung der Freiheit kann gar nicht hoch genug angesetzt werden. Für uns Deutsche, also für die Menschen meiner Generation, die aus dem Westen kommen, ist Freiheit selbstverständlich. Dass es nicht selbstverständlich ist, das können uns schon unsere Landsleute aus dem Osten sagen, die erst nach vielen Jahrzehnten Diktatur in den Genuss der Freiheit kamen. Und umso mehr sagen es uns die Menschen, die heute immer noch in Unfreiheit leben, entweder persönlich, wie heute Abend hier, oder aber durch Horrornachrichten, wie wir sie immer wieder aus den Ländern hören, in denen es keine Freiheit gibt, aus dem Iran, aus Nordkorea oder eben aus Vietnam.

Noch einmal: Warum ist Freiheit, warum sind entsprechende Freiheitsrechte wichtig? Sie sind wichtig, weil sie zum einen das Wesen des Menschen berücksichtigen (wir sind nun mal nicht alle gleich) und zum anderen die Gesellschaft insgesamt politisch und wirtschaftlich voranbringen, durch Teilhabe der geeigneten Personen an den Entscheidungen (und nicht der Personen mit dem richtigen Parteibuch), durch die Chance, sich selbst zu verwirklichen und mit der Entfaltung der eigenen Talente die ganze Gemeinschaft voranzubringen (Wissenschaft, aber auch Kunst braucht in dieser Hinsicht Freiheit) und schließlich auch durch eine gerechte oder zumindest nicht ganz so ungerechte Verteilung der Güter auf einem freien Markt, wobei sich hier auch die Grenzen der Freiheit zeigen: die Freiheit des Anderen, vor allem die des Schwächeren.

Für den Einzelnen ist vor allem die Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit ein hohes Gut. In Europa hat es lange gedauert, bis man das eingesehen hat. Auch die Katholische Kirche hat lange gebraucht, um die Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit anzuerkennen, im Grunde ist das erst im Zweiten Vatikanischen Konzil passiert, vorher nicht. Dabei ist die Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit ein zentrales, herausragendes, elementares und – bezogen auf die Genese der Menschenrechtsidee – ursprüngliches Menschenrecht und die Menschenrechte selbst lassen sich ohne das Christliche Menschenbild und die besondere Würde des Menschen als ebenbildliches Geschöpf Gottes gar nicht verstehen. Christliches Gedankengut zeigt sich denn auch überall im Kontext der liberalen Menschenrechte, in der Entwicklung, dem Wesen und dem Geltungsanspruch dessen, was als Freiheit von staatlicher Allmacht definiert wird. Es zeigt sich in Leib- und Lebensrechten, wie etwa im Folterverbot, und es liegt der Gleichberechtigung, zugrunde, die darauf basiert, dass wir Menschen vor Gott alle gleich sind, auch, wenn wir unterschiedlich aussehen, unterschiedliche Fähigkeiten haben und an Unterschiedliches glauben. In diesem Bewusstsein kann man Niemanden von den Menschenrechten ausschließen. Wer immer das tut, auch, wenn er dabei meint, die Kirche zu vertreten, handelt unchristlich. Das bedeutet nicht, dass man als Christ oder dass die Kirche insgesamt nicht eine klare Vorstellung von Gut und Böse haben sollte, von Wahrheit und Irrtum. Es bedeutet nicht, dass alles gleich gültig ist, ins Belieben des Menschen gestellt. Ganz und gar nicht. die Freiheit des Anderen, vor allem die des Schwächeren, dass sich aus der Sicht von Staat, Kirche und Gemeinschaft nichts Respektables an ihr finden lässt. Auch dann soll dieser Mensch frei sein, soll dieser Mensch seine Meinung sagen dürfen, soll dieser Mensch leben. Die Trennung von Person und Position, negativ: von Sünder und Sünde, ist ein Grundgedanke der christlichen Ethik, die sich in der Forderung nach Toleranz wiederfinden lässt.

Die vielen Freiheiten in Politik, Wissenschaft, Medien und Kunst, das macht nicht zuletzt ein Blick in die Entwicklungsgeschichte der Menschenrechtsidee deutlich, gründen auf der einen elementaren Freiheit, der Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit. Dies lässt sich historisch zurückverfolgen bis zum Exodus des jüdischen Volkes, in der sich die erste kollektive Freiheitsbewegung der Geschichte manifestiert, deren Motiv auch in der religiösen Integrität der Israeliten liegt. Dann zeigt es sich in der Reformation, als Luther sein Gewissen bemüht und für sein Bekenntnis schließlich Anerkennung erwirkt. Bis zur echten Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit sollte es zwar noch einige Jahrhunderte dauern, aber immerhin wurde Mitte des 16. Jahrhunderts in Augsburg der Grundstein gelegt. Die Reformation ist die Urform des neuzeitlichen Widerstands gegen missbrauchte Macht. Man nennt die Menschen, die Luther folgen, bis heute auch Protestanten, also „Widerständische“. In diesem Sinne bin ich auch Protestant! Der Staatsrechtler Jellinek sieht in der Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit „das Ursprungsrecht der verfassungsmäßig gewährten Grundrechte“. Und der in Religionsfragen eher unverdächtige Marxist Ernst Bloch meint: „Die Bedeutung der Glaubensfreiheit kann daran gemessen werden, dass in ihr der erste Keim zur Erklärung der übrigen Menschenrechte enthalten ist“. Kurzum: Ringen um Freiheit war und ist zunächst das Ringen um Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit. Auch in Vietnam.

In meinem neuen Buch „Das Gewissen“ geht es auch um diesen Zusammenhang von Gewissen, Glauben, Religion und den Menschenrechten, insbesondere den liberalen Menschenrechten, also den Freiheitsrechten. Mein Buch „Das Gewissen“ – das war der Werbeblock.

Für die Gemeinschaft ist vor allem die Meinungs- und Pressefreiheit wichtig. Sie ermöglicht die Kritik der Zustände und damit die Bereitstellung von Lösungsansätzen zu ihrer Verbesserung. Deswegen laufen in Diktaturen bestimmte Dinge so katastrophal schief: Weil sich keiner traut, etwas dagegen zu sagen. Um das zu wissen, muss man noch nicht mal Demokrat sein. Auch ein guter König verlangt von seinen Beratern Ehrlichkeit. Denn irgendwann wird das Schweigen und Heucheln von der Realität bestraft.

Bei den katholischen Bloggern, von denen ich eingangs sprach, kommt nun beides zusammen: Ein Mangel an Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit sowie ein Mangel an Meinungs- und Pressefreiheit. Das ist doppelt schlimm: Sie können nicht katholisch sein und sie können keine Blogger sein. Um ihnen beides zu ermöglichen, dafür habe ich in diesem Jahr gekämpft und werde es auch weiterhin tun.

3. Am Dienstag jährt sich die Verkündigung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zum 65. Mal. Am 10. Dezember 1948 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 217 A (III), die 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Sie tat dies vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der Shoa, sie tat dies, um künftigen Generationen die Ausübung von Gewalt und Unterdrückung zumindest etwas zu erschweren. Ein für alle mal sollte der Welt klar gemacht werden: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“

Alle Menschen. Die Betonung in dieser Formulierung liegt auf dem Wort alle. Die AEMR enthält Allaussagen, was den Anspruch auf universale Geltung hervorhebt. Menschenrechte sind Rechte für alle Menschen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort oder ihrem Glauben, ihrer Weltanschauung oder ihrem Geschlecht. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat einen universellen Geltungsanspruch. Mit Universalität meine ich hier die Annahme unbegrenzter, überzeitlicher, unveränderlicher Gültigkeit einer Norm aufgrund eines allgemeinen Begründungstatbestands, dem jeder vernünftige Mensch zustimmen muss. Bei der Universalität geht es also um eine ethische Letztbegründung, die eine Norm universalisierbar macht. Universalisierbarkeit bedeutet entsprechend die allgemeine Anerkennung einer Norm und die Beachtung derselben aufgrund der Möglichkeit der Einsicht in den Begründungszusammenhang dieser Norm. Als Aufgabe würde die Universalisierung die faktische Umsetzung von als allgemeingültig anerkannten Normen vornehmen. Davon abzugrenzen ist eine Uniformierung, die auf die Durchsetzung bestimmter Normen weltweit setzt, wobei es aber an der Fundierung mittels des universalen Begründungszusammenhangs mangelt. Das muss man unterscheiden. Was die Vereinten Nationen mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wollen, ist die Universalisierung fundamentaler Rechte, weil es eben keinen vernünftigen Grund gibt, jemanden von diesen Rechten auszuschließen, nur, weil er Hindu ist oder schwarz oder eine Frau oder Staatsbürger von Belgien. Damit ist nicht Uniformierung gemeint, was oft unterstellt wird. Es geht nicht darum, der ganzen Welt von oben herab eine christlich grundierte westliche Lebensform aufzudrängen. Dass die Weltgemeinschaft keinen ethischen Relativismus will, bedeutet nicht, dass sie keinen kulturellen Pluralismus duldet, solange eben elementare Rechte gewahrt bleiben. Das heißt: Die Geltung der Menschenrechte wird nicht durch ihre Genesis beschränkt. Dass sich die Menschenrechte einer bestimmten Tradition abendländischen Denkens verdanken (nämlich dem christlichen Humanismus), sagt nichts darüber aus, für wen sie gut sind (nämlich nicht nur für christliche Humanisten).

Konkretisiert wurde der Gedanke universaler Menschenrechte aus der Allgemeinen Erklärung, die kein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, sondern bloß eine Art Absichtserklärung ist, in den Menschenrechtspakten, die rund 20 Jahre später verabschiedet wurden (1966). Die Sozialistische Republik Vietnam hat sowohl den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte als auch den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ratifiziert und ist daher an die Inhalte dieser Verträge gebunden, also für die Wahrung der Menschenrechte verantwortlich.

4. Ich komme zum Schluss. Was können wir tun? Kurz gesagt: Unsere Freiheit hierzulande, für die wir dankbar sein können, nutzen, um auf die Lage derer, die diese Freiheit nicht haben, aufmerksam zu machen. Fast täglich erreichen mich Meldungen über neue Menschenrechtsverletzungen in Vietnam. Ich komme mit dem Berichten kaum nach. Seien Sie aber versichert, dass ich am Ball bleibe. Das Thema „Menschenrechte in Vietnam“ wird auch in Zukunft ein ganz zentrales Anliegen meiner Arbeit als Blogger sein. So lange, bis sich etwas ändert, so lange, bis die Kolleginnen und Kollegen in Vietnam genauso frei berichten können wie ich das hier in Deutschland tun kann.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Josef Bordat)